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Direktor am Edelhof

Im Schuljahr 1978/1979 wurde Adi Kastner zunächst mit der Leitung und ab 1. Jänner mit der Funktion des Direktors am Edelhof betraut.

Mit der Funktion des Direktors ergab sich für Adi Kastner eine neue Rolle. Aus schulischer Sicht ging es nicht mehr alleine um das unmittelbare Unterrichten der Schüler, sondern vor allem um die verantwortliche Führung des gesamten Schulbetriebes mit den darin tätigen rund 50 Lehrern und Bediensteten. Seine bereits aufgezeigten Stärken als Lehrer mussten sich in dieser neuen Rolle weiter bewähren, zusätzliche Talente entwickelt und neue Aufgabenfelder bewältigt werden. Viel stärker als bisher waren Merkmale wie Vorausdenken, Entschlossenheit, Entscheidungskraft und Mut erforderlich. Ob aus analytischem Verstand, ob aus den Erfahrungen als Lehrer, oder durch intuitives Gespür – für ihn war klar, dass die Führungsposition nicht bloß nach innen gerichtet bleiben, sondern nur im Zusammenspiel mit außerschulischen Aktivitäten zu einer erfolgreichen und nachhaltigen Weiterentwicklung des Edelhofs führen konnte. In den 20 Jahren seiner Direktorentätigkeit hat er den Edelhof als umfassendes und für Österreich beispielhaftes Bildungs- und Innovationszentrum auf- und ausgebaut.

Adi Kastner - Direktor / Edelhof
Adi Kastner - Direktor / Edelhof

Bildungs- und Innovationszentrum Edelhof

Kastners Vorstellungen vom möglichen Weg der Waldviertler Land- und Forstwirtschaft waren einfach und klar, auch wenn sie gegen die damals herkömmliche Auffassung des notwendigen „Weichens und Wachsens“, des so genannten Strukturwandels in der Land- und Forstwirtschaft gerichtet waren: „Wånnst kloa und gstaucht bist, kånnst net mit an 2 metrigen Sprinter im 100 Meta Lauf antreten. Då muasst da an åndan Bewerb suachen“. Für ihn waren das die Produktionsalternativen. Anstelle in einen Wettbewerb mit landwirtschaftlichen Gunstlagen zu treten – Aufbau von Sonderkulturen samt Veredelung und Vermarktung. Wertschöpfung also nicht in der Horizontale der Fläche durch Mechanisierung und Intensivierung, sondern in der Vertikale der Weiterverarbeitung suchen. Der Edelhof war dazu sein praktischer und faktischer Ausgangspunkt, seine Basis, dort konnte er im Versuchswesen seine Ideen erproben, bevor er diese zunächst als Pilotprojekte und später als eigenständige Institutionen an Standorten im Waldviertel initiierte und etablierte.

Üblicherweise wurde der schulische Bildungsauftrag viel enger gesehen. Mit dem Anspruch, ein praxisgerechtes und vor allem zukunftsorientiertes Bildungsangebot für Schüler einer Ackerbauschule anzubieten, war die Öffnung hin zur Erprobung von verbesserten oder neuen Produktalternativen aber von hoher Bedeutung. Gleichzeitig waren solche Initiativen die beste Voraussetzung zur laufenden Qualifizierung für die Weiterbildung der Lehrer, die so immer am letzten Stand eines immer rascher wachsenden Fachwissens blieben. Lehrer am letzten Wissensstand waren wieder die Voraussetzung für die bereits lange bestehenden außerschulischen Weiterbildungskurse des Absolventenverbandes, deren Teilnehmerzahlen sich verzehnfacht haben. Waren es am Beginn seiner Zeit als Direktor um die 1000 Kursteilnehmer, so sind es bei seinem Pensionsabgang rund 10.000 gewesen.

Das war aber nicht nur Qualitätssicherung in der Ausbildung. Gleichzeitig waren es wichtige und richtige Schrittmacherdienste für die bäuerlichen Betriebe des Waldviertels und für die propagierte Zukunftsvorstellung, nicht in die horizontale, sondern in die vertikale Schiene zu intensivieren. Mit den initiierten Projekten konnten die Ideen und Visionen für Schüler und Absolventen in der realen Praxis demonstriert und „begreifbar“ gemacht werden. In der multiplikativen Verschränkung von Versuchen mit Lehrern, Schülern und wirtschaftenden Bauern wurde so eine ständig höher führende Spirale für einen wechselseitigen qualitativen Fortschritt angelegt.

Saatzucht

Die seit 1903 bestehende Saatzucht hatte sich in erster Linie mit der Züchtung und Erprobung von vormals für das Waldviertel typischen Getreidesorten wie Roggen und Hafer, in weitere Folge mit Düngungsversuchen beschäftigt. Diese Feldfrüchte traten aber in der Praxis der bäuerlichen Betriebe immer mehr zugunsten von Weizen und Gerste in den Hintergrund. Es war daher naheliegend, sich auch in der Saatzucht des Edelhofes neu zu orientieren. Gleichzeitig hat sich Kastner erfolgreich bemüht, den Vertrieb der Züchtungen auf eine neue Basis zu stellen. Es ist ihm gelungen, einen Kooperationsvertrag für den Verkauf des Saatgutes mit dem Verband ländlicher Genossenschaften abzuschließen. Investitionserfordernisse, die über das Schulbudget nicht finanzierbar gewesen wären, gepaart mit Zweifeln der Entscheidungsträger, ob ein kleiner Waldviertler Zuchtbetrieb gegenüber den damals bereits bestehenden weltweiten Saatgutkonzernen wie Pioneer oder Monsanto überleben kann, wurden seinen Vorstellungen entgegen gesetzt. Die dafür erforderlichen hohen Millionenbeträge (noch in Schillingen) wurden von Kastner über Förderungen und Sponsoren in mühevoller Kleinarbeit aufgetrieben. Die Richtigkeit dieser Entscheidung hat sich im Erfolg gezeigt: durch die Kooperation mit dem Verband ländlicher Genossenschaften wurden vor allem im östlichen Europa neue Absatzmärkte erschlossen, wodurch sich die Produktion von Saatgut vervielfacht hat.

In diesen und vielen anderen Beispielen und Projekten zeigt sich Kastners strategisches Denken, das dynamische Weiterentwickeln von bereits Vorhandenem, sowie das offensive Aufspüren von zusätzlichen und neuen Aktivitäten. Kastners Motto: Fäden ziehen und Netzwerke schaffen – immer mit Bedacht auf sinnvolle Symbiosen, Synergien und Rückbindungen zum Bildungsauftrag.

„Nur wer frei ist, springt gut“

Einer der Sprüche von Kastner war: „Nur wer frei ist, springt gut“. Adi Kastner war sehr frei und konnte dadurch weit und hoch springen. Bereits in den frühen 80iger Jahren, nach wenigen Jahren als junger Direktor, wurde er zum Sprecher aller niederösterreichischen landwirtschaftlichen Fachschuldirektoren gewählt. Eine Funktion, die im Organisationsmodell der Landwirtschaftlichen Fachschulen überhaupt nicht vorgesehen war. Solche Direktorenkonferenzen waren üblicherweise Zusammenkünfte, die von der Schulbehörde einberufen und geleitet worden sind. Sie dienten neben allgemeinen Vorträgen vor allem der Bekanntgabe von neuen Vorgaben und Regeln. Die Position eines Sprechers war lediglich das Bestreben aller Direktoren, der Obrigkeit und ihren Vorgaben gegebenenfalls mit einer Sprache gegenübertreten zu können. Dass dabei die Wahl auf Kastner fiel, ist ein sicherer Hinweis auf seine schon damals spürbare „Freiheit“. Diese spiegelte sich auch darin, dass er im Gespräch und in der Begegnung mit Anderen keinen Unterschied kannte, egal ob es ein Generaldirektor oder ein Bediensteter am Edelhof, ein Landeshauptmann oder ein Bauer war.

Neben Projekten und Betriebsklima hat Kastner auch die Weiterentwicklung eines attraktiven Bildungsangebots für den Edelhof im Auge gehabt. Hier hat er ebenfalls viele neue Akzente und Ausbildungsschwerpunkte gesetzt. Verbesserung der klassischen Landwirtschaft (Saatzucht, Schweinezucht…), erste Ansätze im Biolandbau, eine Biogasanlage, Sonderkulturen, Waldwirtschaft und Holz, Pferd mit Fahren und Reiten. Schwerpunkte, die großteils ebenfalls gegen viele äußere Barrieren gelungen sind.

Nachdem z.B. 1991 eine Weltmeisterschaft im Gespannfahren von Österreich ausgerichtet werden sollte und der dafür vorgesehene Austragungsort in Salzburg nicht realisiert werden konnte, ergriff er die Initiative und bot das Gelände des Edelhofs an. Flugs wurde eine Trabrennbahn sowie die anderen notwendigen Installationen gebaut und eine erfolgreiche Weltmeisterschaft am Edelhof durchgeführt. Eine Schule mit Trabrennbahn! Das trug ihm zwar endgültig den Ruf eines Spinners ein, aber um die Etablierung des neuen Ausbildungsschwerpunkts „Pferd mit Fahren und Reiten“ kam niemand mehr herum.

Adi Kastner war trotz seiner damaligen Jugend sehr schnell innerhalb seiner Direktorenkollegen anerkannt. Nicht nur als Person, sondern auch durch die erfolgreiche Aufwärtsentwicklung am Edelhof. Auch wenn das manche Direktoren beneideten. Scherzhaft wurde das zum Beispiel in der Aussage eines anderen Schuldirektors deutlich: „Bei der Verabschiedung meiner Schüler zum landesweiten Sportwettbewerb der landwirtschaftlichen Fachschulen habe ich ihnen gesagt: es ist völlig egal, welchen Rang ihr belegt, wichtig ist nur, es muss zumindest ein Rang vor dem Edelhof sein.“

Landwirtschaftlichen Koordinationsstelle für Bildung und Forschung Tulln

Auch die Schulbehörde und die politischen Entscheidungsträger waren trotz einiger Reibungspunkte von dieser starken Entwicklung am Edelhof beeindruckt. So war es nur eine Frage der Zeit, bis Kastner mit weiteren Funktionen betraut wurde. Eine davon war die Leitung der LAKO, der Landwirtschaftlichen Koordinationsstelle für Bildung und Forschung. In Tulln angesiedelt, sollte sie ein Zusammenspiel zwischen Bildung und Forschung für die Land- und Forstwirtschaft Niederösterreichs gewährleisten. Das ergab sich aus der vorhandenen Situation. Die meisten niederösterreichischen Landwirtschaftsschulen hatten zu Lehr- und Demonstrationszwecken im Rahmen ihrer Jugend-und Absolventenbildung angeschlossene Lehr- und Versuchsflächen. Dort wurden wissenschaftliche Erkenntnisse über praktische Anwendungen ausprobiert und vorgezeigt. Eine Aufgabe, die in anderen Ländern über so genannte Landesanstalten umgesetzt worden ist, denen aber wieder die starke Anbindung an die Aus- und Weiterbildung fehlte. Kastner hat diese Tätigkeit 1989 angenommen und auch hier Aktivitäten wie etwa das Thema bäuerliche Kompostierung gesetzt. Auf Dauer gesehen hätte ihn diese Aufgabe jedoch vom Waldviertel und vom Edelhof zu weit weggeführt, sodass er sie nach 3 Jahren auslaufen ließ.

Ruhestand

1999, nach 20 Jahren, trat Adi Kastner mit seinem 60igsten Lebensjahr als Direktor in den Ruhestand, blieb aber noch weitere Jahre als Regionalmanager aktiv. Blickt man auf seine Zeit als Direktor am Edelhof zurück, dann fällt es schwer, seine Funktion als Lehrer und Direktor von den übrigen zusätzlichen ineinanderfließenden Funktionen und Aktivitäten zu trennen. Bei Adi Kastner haben schlussendlich die vielen Radl’n, an denen er stets gedreht hat, zu einem Räderwerk geführt, wo ein Zahnrad in das andere eingegriffen hat.